(Von Thomas Tekster)
Da sprüht doch einer was in die Luft! Das sind doch unübersehbare Zeichen, die kein Zufall sein können! Da hat doch jemand etwas manipuliert! Gibt es tatsächlich eine riesengroße Verschwörung am Himmel, nach der Erdingenieure ein geheimes Programm zur Bevölkerungsreduktion bzw. Verhaltenskontrolle betreiben („Secret Large Scale Atmospheric Programm“, kurz SLAP)? Lassen sie wirklich militärische oder zivile Flugzeuge aufsteigen, um Aluminium- und Bariumverbindungen in die Atmosphäre zu sprühen, aus denen sich dann die sog. „Chemtrails“ entwickeln, die den am Himmel zu beobachtenden Kondensstreifen zum verwechseln ähnlich sind, sich aber deutlich länger in der Atmosphäre halten und anders aussehen? Im weiteren Umfeld dieser Vorstellungen gab es tatsächlich in der Wissenschaft kursierende Theorien zur Bekämpfung der Erderwärmung durch das Einbringen unterschiedlicher Substanzen in die Atmosphäre, die sich aber nicht durchsetzen konnten.
Der Begriff „Chemtrails“ bezeichnet Kondensstreifen (condensation trail / contrail), die angeblich absichtlich mit hochdosierten Chemikalien versetzt und wissentlich oder unwissentlich durch Flugzeuge erzeugt wurden. Der Deutsche Wetterdienst und das Bundesumweltamt haben eine andere Erklärung für diese Phänomene, die in natürlich-physikalischen Zusammenhängen zu finden sind und von bestimmten Wetterlagen (Temperatur, Feuchtigkeit, Höhe, Luftbewegungen etc.) in Verbindung mit Aerosolen wie etwa Rußpartikeln der Triebwerksabgase abhängen. Auch der BUND für Umwelt und Naturschutz hat sich in einer Stellungnahme kritisch zu den sog. “Chemtrails” geäußert.
Diese relativ nüchterne Erklärung reicht vielen Chemtrail-Anhängern allerdings nicht aus. Aber warum glauben sie an planvoll vorgehende Akteure hinter diesem Wetterphänomen? In der Diskussion über den Glauben an Chemtrails und ähnlichen Verschwörungstheorien treten einige Aspekte immer wieder in den Vordergrund: Dazu gehören ein grundsätzlich fehlendes Vertrauen in politische und gesellschaftliche Akteure und eine geringere politische Bildung. Aber auch mangelnde Kenntnisse (z.B. über Meteorologie) bzw. die fehlende Bereitschaft, sich mit naturwissenschaftlichen Zusammenhängen zu beschäftigen und andere Meinungen hinzuzuziehen. Damit hängt die Unfähigkeit zusammen, den eigenen Standpunkt mit einer gehörigen Portion Zweifel und Skepsis zu reflektieren.
Verschwörungstheorien haben demnach sehr viel mit subjektiv wahrgenommenen Befindlichkeiten zu tun. Es vermischen sich dabei soziale Abstiegsängste mit Bedrohungs- und Minderwertigkeitsgefühlen zu einem Grundgefühl zusammen, von „denen da oben“ nicht mehr repräsentiert zu werden. Diese Einstellung ist Ausdruck einer kulturpessimistischen und bisweilen extremistischen Haltung, die die Fähigkeit zur Empathie absterben lässt. Die Angst vor dem Verlust eigener Privilegien und eigener Deutungsmacht lässt blind werden gegenüber Andersdenkenden.
Darüber hinaus wird die Neigung, Verschwörungstheorien Glauben zu schenken, auch auf uralte Muster zurückgeführt, wonach die subjektiv empfundene Bedrohungslage auf fundamentale, nicht aus den Köpfen herauszubekommende Menschheitserfahrungen zu beruhen scheint. Der Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator Harald Lesch erklärt in seiner Sendung “Gibt es Chemtrails? (ZDF, Terra X v. 2.11.2016) hierzu: „Es ist evolutionär günstiger, viele Male einen Busch für einen lauernden Bären zu halten, als ein einziges Mal einen lauernden Bären für einen Busch.“
Nimmt man an, dass der Glaube an Verschwörungstheorien eng mit subjektiven Befindlichkeiten und Gefühlen in Zusammenhang steht, dann erscheint es wenig zielführend zu sein, diesen Glauben mit Faktenwissen und sachlichen Gegenargumenten erschüttern zu wollen. Ebenso wenig ist es sinnvoll, einen Alarmismus zu predigen, nach der sich Verschwörungstheorien angeblich wie Viren ausbreiten. Neben einer vermehrten Bildung und Aufklärung über verschwörungstheoretische Gedankengebilde scheint ein mehr emotionaler Zugang über die Förderung der Empathiefähigkeit und Mitmenschlichkeit einen Ausweg aus dem verschwörungstheoretischen Ich-Karussell zu weisen.
Der Begriff „Chemtrails“ ist eine eigene Kategorie der Website „Der goldene Aluhut“, die von Giulia Silberberger und Kai Schulze betrieben wird. Giulia Silberberger spricht am Tag der Medienkompetenz am 5. November im Landtag NRW.
Weitere Hinweise:
Leonie Feuerbach (2017): Das Muster der Verschwörung. In: Frankfurter Allgemeine vom 30. Oktober. http://www.faz.net… <09.10.2018>
Leonie Feuerbach (2018): Chemtrails und Reptiloide. In: Bundeszentrale für politische Bildung, (6. Juni). http://www.bpb.de… <09.10.2018>
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